Form of Interest | Kleinstserien | Human’s wear | Non-Conforming

JESSICA DETTINGER

WACHSTUM, WETTBEWERB, PROFIT. DIE MODESCHÖPFERIN UND MATERIALDESIGNERIN ZEIGT MIT IHREM LABEL FORM OF INTEREST, DASS MAN SICH NICHT DEN REGELN DES MARKTES UNTERWERFEN MUSS, UM WAHR- UND ERNSTGENOMMEN ZU WERDEN. EINE GEDANKENREISE VON E WIE ERFOLG ÜBER K WIE KONFORMITÄT BIS W WIE WIRKUNGSKREIS.

Mir wurde oft signalisiert, dass ich nur erfolgreich sein kann, wenn ich von Anfang an groß denke. Sprich viel produziere und viel verkaufe. Doch das wollte ich nie, denn es bringt einen in Zugzwang. Du kannst die Kollektion nicht mehr selbst produzieren, also suchst du dir eine Näherei. Die Näherei blockt ihre Arbeiter:innen aber nur, wenn du eine bestimmte Abnahmemenge garantierst. Für all die Kleidungsstücke brauchst du ein Lager. Um all die Kosten zu decken, musst du Kund:innen finden und auf Messen präsent sein. Diese Zeit geht dir davon ab, kreativ an deiner Kollektion zu arbeiten. Also brauchst du Mitarbeiter:innen, die sich um Akquise und bald schon um Marketing und Vertrieb kümmern … es ist eine Wachstumsspirale, die sich immer weiter nach oben schraubt – und letztlich dazu führt, dass du immer mehr produzieren, immer mehr verkaufen und eventuell immer mehr Kompromisse eingehen musst. Letztlich ist das meine Kritik am heutigen System: Alle Strukturen sind auf Masse ausgerichtet mit all den bekannten sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Nebenwirkungen.

BE A MENSCH – HUMAN“  

Ich denke, wir haben noch einen ziemlich weiten Weg vor uns, alte mentale Modelle hinter uns zu lassen und Erfolg neu zu definieren. Messen wir ihn weiterhin an den klassischen Kennzahlen: Umsatz, Gewinn, die Zahl an Läden, Mitarbeiter:innen, Kollektionen und verkauften Teile? Oder gibt es Kriterien, die weitaus besser zu unserer globalisierten, hochvernetzen und doch endlichen Welt passen – auf der schon bald zehn Milliarden Menschen mitspielen wollen?

Letztlich ist das auch der Grund, warum ich mich gegen ein Studium am Royal College of Art entschieden habe. Ich spürte, dass damit der Weg vorbestimmt gewesen wäre: Nach London kommt Paris, dann das eigene Label mit mindestens vier Kollektionen im Jahr und einer klaren Ausrichtung auf Wachstum, Wettbewerb und Profit. Doch dafür war mir die Mode zu schade und mein Kampfgeist zu groß. Ich wollte zeigen, dass man nicht die etablierten Karrierepfade beschreiten, sich nicht den Regeln des Marktes unterwerfen muss, um als Designerin wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Heute produziere ich eine Kollektion pro Jahr mit gerade mal zehn Looks, bin auf Schauen in Paris und Tokio vertreten und meine Kund:innen akzeptieren, dass ich bei Weitem nicht jede Nachfrage bediene und Aufträge auch ablehne. Früher hat mir das noch schlaflose Nächte bereitet, heute weiß ich, dass viele Konsequenzen nicht so schwer wiegen, wie einem oft suggeriert wird. Die eine Tür mag zugehen, doch dafür öffnen sich andere – und die Räume dahinter sind oft noch viel spannender…

Welches Gedicht würdest du sogar auswendig lernen?

„Über die Geduld“ von Rainer Maria Rilke.

BIO

Jessica Dettinger, geboren in Schwäbisch Gmünd, hat Arts in Fashion Design an der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim studiert. Sie versteht Mode als Medium, um Fragen unserer Gesellschaft zu diskutieren und alte Rollenbilder oder Denkweisen zu dekonstruieren. Die Kleidungsstücke, die sie für ihr Label Form of Interest kreiert, sind unisex und gibt es nur in Kleinstserien. Jessica lebt seit 2011 in München, vernetzt sich projektbezogen mit anderen Künstler:innen und arbeitet zudem als Senior Leaddesignerin für Farben und Material bei BMW.